Aus der Los Angeles Times

Aus der Los Angeles Times

SPALTE EINS

Grundlage eines Glaubens ist erschüttert

DNA-Tests widersprechen den mormonischen Heiligen Schriften. Die Kirche sagt, die Studien seien verzerrt, um ihre Glaubensbekenntnisse anzugreifen.

 

16. Februar 2006

Von der Zeit an, als er ein Kind in Peru war, wurde Jose A. Loayza die Überzeugung eingeimpft, dass er und Millionen anderer Ureinwohner Amerikas von einem verlorenen Stamm Israels abstammten, der die Neue Welt vor mehr als 2000 Jahren erreichte.

„Uns wurden all die Segnungen der hebräischen Abstammungslinie gelehrt, zu der wir gehörten, und dass wir besondere Menschen wären“, sagte Loayza, der jetzt ein Anwalt in Salt Lake City ist. „Es gab mir nicht nur das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, sondern es gab mir auch einen Sinn für die transzendentale Identität, eine Identität mit Gott.“

Vor einigen Jahren, sagte Loyaza, wurde sein Glaube erschüttert und er seiner Identität beraubt, und zwar durch DNA-Beweise, die zeigten, dass die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner von Asien und nicht aus dem Nahen Osten herkamen.

„Ich bin durch verschiedene Stadien gegangen“, sagte er: „Absolute Verleugnung. Völlige Verwunderung und Überrumpelung. Wut und Verbitterung.“
Für Mormonen ist der Mangel an erkennbarem Hebräerblut in den Ureinwohnern Amerikas kein geringer Zusammenprall zwischen Glaube und Wissenschaft. Er untergräbt die historischen Fundamente des Buches Mormon, einer 175 Jahre alten Abschrift, die die Kirche als buchstäblich und fehlerlos ansieht.
Für Außenstehende des Glaubens kann die Größe des Dilemmas der Kirche auf folgende Weise erklärt werden: Man stelle sich vor, dass DNA-Beweise offenbaren, dass die Pilgrims nicht von Europa segelten, um der religiösen Verfolgung zu entkommen, sondern eher ein Teil einer Auswanderbewegung von Island her wären – und dass die U.S.-Geschichtsbücher falsch wären.
Kritiker wollen, dass die Kirche ihre Fehler zugibt und sich bei den Millionen von Ureinwohnern Amerikas entschuldigen, die sie bekehrt hatte. Die Kirchenführer haben keine Neigung dazu gezeigt. Tatsächlich haben sie jeden Gedanken, dass die Gene der Ureinwohner Amerikas den Mormonenglauben untergraben, als Ketzerei abgetan.
Doch zur gleichen Zeit hat die Kirche subtil eine frische Auslegung des Buches Mormon unterstützt, mit der Absicht, die DNA-Entdeckungen mit den Heiligen Schriften in Einklang zu bringen. Diese Analyse steht radikal im Widerspruch zu den althergebrachten Mormonenlehren.
Einige Langzeitbeobachter glauben, dass schließlich die große Mehrheit der Mormonen die Genetische Forschung als eine unwürdige Verwirrung über ihren Glauben unbeachtet lässt.

„Dies mag von außen betrachtet wie der vernichtende Schlag gegen den Mormonismus aussehen“, sagte Jan Shipps, ein Professor emeritus der Religiösen Studien an der Indiana-Universität – Purdue University Indianapolis, der die Kirche 40 Jahre lang studiert hat. „Aber Religion ruht letztlich nicht auf wissenschaftlichen Beweisen, sondern auf mystischen Erlebnissen. Es gibt verschiedene Wege, die Wahrheit zu betrachten.“

Gemäß der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage führte ein Engel namens Moroni Joseph Smith 1827 zu einem himmlischen Satz von goldenen Platten, die am Hang eines Hügels in der Nähe seines Heims im Staate New York vergraben waren.
Gott stattete den 22-jährigen Smith mit einer Brille und Sehersteinen aus, die es ihm gestatteten, das „Reformierte Ägyptisch“ von den goldenen Platten in das Buch Mormon zu übersetzen, „einem weiteren Testament Jesu Christi“.

Mormonen glauben, dass diese Schriften die Kirche zu Gottes ursprünglicher Vision wiederherstellten und den Rest der Christenheit in einem Zustand des Abfalls überließen.

Die Erzählung des Buches konzentriert sich auf einen Stamm der Juden, der 600 v. Chr. von Jerusalem in die Neue Welt segelte und sich in zwei sich bekriegende Hauptgruppen spaltete.

Die gottesfürchtigen Nephiten waren „rein“ (das Wort wurde 1981 offiziell von „weiß“ umgeändert) und „angenehm“. Die götzendienerischen Lamaniten empfingen den „Fluch der Schwärze“, was ihre Haut dunkel werden ließ.

Gemäß dem Buch Mormon hatten um 385 n. Chr. die dunkelhäutigen Lamaniten die anderen Hebräer ausgelöscht. Die Mormonenkirche nannte die Sieger „die Hauptvorfahren der amerikanischen Indianer”. Sollten die Lamaniten zur Kirche zurückkehren, könnte ihre Hautfarbe einst wieder weiß werden.

Über Jahre hinweg haben die Kirchenpropheten – die Mormonen glauben, dass sie Offenbarungen von Gott empfangen – und die Missionare die angebliche Ahnenverbindung zwischen den alten Hebräern und den Ureinwohnern Amerikas und später auch den Polynesiern als Hauptbekehrungswerkzeug in Mittel- und Südamerika und im Südpazifik benutzt.

„Wenn ich in ihre Gesichter schaue, denke ich an Vater Lehi [Patriarch der Lamaniten], dessen Söhne und Töchter sie sind”, sagte 1997 der Kirchenpräsident und Prophet Gordon B. Hinckley während einer Mormonenkonferenz in Lima, Peru, „ich denke, er müsste heute Tränen vergießen, Tränen der Liebe und Dankbarkeit… Dies ist nur der Anfang des Werkes in Peru.“
In den letzten Jahrzehnten ist der Mormonismus in diesen Regionen aufgeblüht, der jetzt fast 4 Millionen Mitglieder zählt – gemäß den Kirchenzahlen etwa ein Drittel der weltweiten Mitgliederschaft.

„Dies war der große Reinfall“, sagte Damon Kali, ein Anwalt, der in Sunnyvale, Calif., praktiziert und von Pazifik-Inselbewohnern abstammt, „und ziemlich deutlich war es der große Reinfall für mich. Ich war ein Lamanite. Mir wurde gesagt, dass der Tag der Lamaniten kommen wird.“
Nach wenigen Monaten seiner zweijährigen Mission in Peru hörte Kali damit auf, die Einwohner zu bekehren. Wissenschaftliche Artikel über alte Einwanderungswege, hatten ihn zweifeln lassen, dass er oder sonst irgendjemand ein Lamanite wäre.

Irgendwann stellst du Nachforschungen an und beginnst einen anderen Standpunkt zu bekommen“, sagte Kali, der sagte, dass er 1996 exkommuniziert wurde wegen Streitgesprächen ohne Beziehung zur Lamanitenstreitfrage. „Ich konnte keine Missionsarbeit mehr leisten.“
Kritiker des Buches Mormon haben seit langem den Anachronismus in seiner Erzählung zitiert, um zu argumentieren, dass es nicht das Werk Gottes sei. Zum Beispiel enthalten die Mormonenschriften Hinweise auf eine Siebentagewoche, domestizierte Pferde, Kühe und Schafe, Seide, Kutschen und Stahl. Nichts davon wurde zur Zeit Christi auf den amerikanischen Kontinenten eingeführt.

In den 1990ern lieferten DNA-Studien den Mormonenverleumdern weitere Munition und neue Verbündete wie Simon G. Southerton, ein Molekularbiologe und ehemaliger Bischof der Kirche.

Southerton, ein Senior-Forschungs-Wissenschaftler bei der “Commonwealth Scientific and Industrial Research Organization” in Australien, sagte, dass die Genetische Forschung ihm erlaubte, seine religiösen Anschauungen gegenüber seiner wissenschaftlichen Ausbildung zu prüfen.

Genetische Tests an Juden in der ganzen Welt hatten schon gezeigt, dass sie bestimmte DNA-Stränge aus dem Nahen Osten gemeinsam hatten. Southerton untersuchte Studien der DNA-Linien unter Polynesiern und Eingeborenen in Nord-, Mittel- und Südamerika. Eine erfasste mütterliche DNA-Linie von 7300 Ureinwohnern Amerikas aus 175 Stämmen.

Southerton fand keine Spur von nahöstlichem DNA in genetischen Strängen der heutigen amerikanischen Indianer und Pazifik-Inselbewohner.

In „Losing a Lost Tribe“, 2004 veröffentlicht, kam er zum Schluss, dass der Mormonismus – 30 Jahre lang sein Glaube – angesichts dieser Tatsachen neubewertet werden müsste, auch wenn es die Grundlagen des Glaubens erschüttern würde.
Das Problem ist, dass die Mormonenführer die faktischen Fehler im Buch Mormon nicht anerkennen können, weil der Prophet Joseph Smith es als das “korrekteste Buch auf Erden” verkündete“, sagte Southerton in einem Interview.

„Sie können nicht zugeben, dass es nicht historisch ist“, sagte Southerton, „sie hätten das Gefühl, dass es einen Verlust an Mitgliedern und einen Verlust an Vertrauen zu Joseph Smith als einen Propheten geben würde.“

Offiziell sagt die Mormonenkirche, dass nichts in den Mormonenschriften mit dem DNA-Beweis unvereinbar sei und dass die genetischen Studien verzerrt worden sind, um die Kirche anzugreifen.

„Wir wollen hoffen, dass die Kirchenmitglieder die neulichen DNA-Argumente, die von denen verbreitet werden, die aus anderen Gründen gegen die Kirche kämpfen, nicht einfach übernehmen“, sagte Michael Otterson, ein in Salt Lake City ansässiger Sprecher für die Mormonenkirche.

„Die Wahrheit ist, dass das Buch Mormon niemals durch die Wissenschaft bewiesen oder widerlegt wird”, sagte er.

Inoffiziell haben die Kirchenführer stillschweigend eine alternative Auslegung des Buches Mormon durch Kirchenapologeten – ein Begriff, der für Gelehrte gebraucht wird, die den Glauben verteidigen - gebilligt.

Die Apologeten sagen, dass Southerton und andere sich auf eine traditionelle Lesart des Buches Mormon stützen – dass die Hebräer die ersten und alleinigen Bewohner der Neuen Welt wären und schließlich die Kontinente Nord- und Südamerikas bevölkerten.

Die neueste Gelehrsamkeit, so argumentieren sie, zeigt, dass der Text anders ausgelegt werden sollte. Sie sagen, dass die Ereignisse, die im Buch Mormon beschrieben werden, auf einen kleinen Abschnitt Mittelamerikas beschränkt sind, und dass der hebräische Stamm klein genug war, dass seine DNA von den vorhandenen Uramerikanern verschluckt wurde.

„Es wäre sehr wahrscheinlich, dass ihre DNA versickert wäre”, sagte Daniel Peterson, ein Professor der Nahost-Studien an der Brigham-Young-Universität in Provo, Utah, Teil des weltweiten mormonischen Ausbildungssystems, und Herausgeber eines Magazins, das den Mormonenapologeten gewidmet ist. „Und wenn dies der Fall ist, könnte man nicht sagen, wer lamanitischer Herkunft wäre.”

Southerton sagte, dass die neue Auslegung entgegen einer klaren Lesart des Textes und den Worten der Mormonenführer stünde.

„Die Apologeten haben das Gefühl, dass sie fast über den Propheten stehen“, sagte Southerton, „sie haben die Erzählung auf eine Weise vollkommen neu erfunden, die sowohl den Mitgliedern als auch den meisten Propheten vollkommen fremd wäre.“

Die Kirche hat formell die Ansichten der Apologeten nicht in sich aufgenommen, aber die offizielle Website der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage - http://www.lds.org – zitiert ihre Arbeit und liefert Links dazu.

„Sie haben keine ausdrücklichen öffentlichen Erklärungen abgegeben”, sagte Armand L. Mauss, ein Kirchenmitglied und Professor im Ruhestand der Washington State University, der kürzlich ein Buch über die mormonische Rasse und Abstammung herausgab, „aber praktisch ist dies die gegenwärtige Kirchenposition.“

Die DNA-Debatte begrenzt sich größtenteils auf die Kirchenführer, Akademiker und einen relativ kleinen Kreis von Kirchenkritikern. Die meisten Mormonen, belehrt, dass Gehorsam der Schlüsselwert ist, nehmen das Buch Mormon als Gottes unfehlbares Wort.
“Nicht, dass Mormonen nicht neugierig wären“, sagte Mauss, „sie können die Notwendigkeit nicht erkennen, das in Betracht zu ziehen, was schon entschieden worden ist.“

Kritiker behaupten, dass die Mormonenführer schnell dabei sind, abweichende Meinungen zu ersticken. 2002 begannen die Kirchenbeamten eine Ausschlussverhandlung gegen Thomas W. Murphey, ein Anthropologie-Professor am Edmonds Community College in Washington State.

Er wurde als Ketzer hingestellt, weil er gesagt hätte, dass die Mormonenschriften im Lichte des DNA-Beweises als inspirierte Fiktion angesehen werden sollten.

Nachdem die Kontroverse die Aufmerksamkeit der nationalen Medienberichterstattung auf sich gezogen hatte, weil seine Befürworter ihn den Galileo des Mormonismus nannten, stellten die Kirchenführer die Verhandlung ein.
Loayza, der Salt-Lake-City-Anwalt, sagte, dass die Kirche auf die Kontroverse eingehen sollte.

„Sie sollten es offen ansprechen”, sagte er, “oft ist es die Methode, die sie anwenden, einfach zu ignorieren oder sich jeder Meinung zu enthalten. Wir sollten den Mut haben, zu unserer Überzeugung zu stehen. Diese [Lamanitenstreitfrage] ist für den Glauben potentiell zerstörend.“
Otterson, der Kirchensprecher, sagte, dass die Mormonenführer neutral bleiben würden. „Ob nun die Geographie des Buches Mormon ausgedehnt oder eingeschränkt ist oder wie die heutigen Ureinwohner Amerikas die genetische Beschaffenheit des Buch-Mormon-Volkes widerspiegeln, hat absolut keine Auswirkung auf die Zentralbotschaft als ein Testament Jesu Christi“, sagte er.

Mauss sagte, das die DNA-Studien seinen Glauben nicht erschüttert hätten: „Es gibt nicht vieles im Leben – nicht nur in der Religion oder in jedem anderen Feld der Forschung – wo man das Gefühl haben kann, dass man alle Antworten hat“, sagte er.

„Ich bin bereit, in Zweideutigkeit zu leben. Ich lass mich von Dingen, die ich innerhalb einer Woche nicht lösen kann, nicht so beunruhigen.“

Für andere ist das Leben in Zweideutigkeit viel schwieriger gewesen. Phil Ormsby, ein Polynesier, der in Brisbane, Australien, lebt, wuchs im Glauben auf, dass er ein Hebräer wäre.

„Ich sah mich selbst unter den kämpfenden Lamaniten und lebte die Phantasien des Buches Mormon aus, während ich es las“, sagte Ormsby, „es gab mir ein großes Wertgefühl, zu wissen, dass diese meine wahren Vorfahren waren.“

Die DNA-Studien haben seine Gefühle vollkommen geändert.

“Manchmal bin ich wütend und manchmal fühle ich mich traurig”, sagte er, „ich bin traurig wegen meines Volkes, das von etwas besessen war, das nichts als ein Schwindel war.“

The Los Angeles Times

 

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